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Diese Entscheidung

Neuinkraftsetzung eines aus formellen Gründen für nichtig erklärten Bebauungsplans

BVerwG, Beschluss vom 06.05.1993 - Az.: 4 N 2.92

Leitsätze:
Auch wenn ein Bebauungsplan wegen eines formellen Fehlers vom Normenkontrollgericht nach § 47 Abs. 6 Satz 2 VwGO für nichtig erklärt worden ist, kann ihn die Gemeinde nach Behebung des Fehlers durch Wiederholung des nachfolgenden Verfahrens grundsätzlich neu in Kraft setzen. (amtlicher Leitsatz)

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Gründe

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Der Vorlagegrund des § 47 Abs. 5 Satz 1 nr. 2 VwGO ist ebenfalls gegeben, denn das vorlegende Gericht will von der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Beschluß vom 30. März 1990 - 7 B 3551/89 -, DVBl. 1990, 1119, mit ablehnender Anmerkung Schmaltz) abweichen.

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Die Vorlagefrage ist in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts zu beantworten. Auch wenn ein Bebauungsplan wegen eines formellen Fehlers vom Normenkontrollgericht nach § 47 Abs. 6 Satz 2 VwGO für nichtig erklärt worden ist, kann ihn die Gemeinde nach Behebung des Fehlers durch Wiederholung des nachfolgenden Verfahrens grundsätzlich erneut in Kraft setzen.

Gemäß § 215 Abs. 3 Satz 1 BauGB kann die Gemeinde einen Fehler, der sich aus der Verletzung der in § 214 Abs. 1 BauGB bezeichneten Vorschriften ergibt, oder einen sonstigen Verfahrens- oder Formfehler nach Landesrecht beheben und dabei den Flächennutzungsplan oder die Satzung durch Wiederholung des nachfolgenden Verfahrens in Kraft setzen. Die Vorschrift gilt demgemäß für solche formellen Fehler, die zur Nichtigkeit des Flächennutzungsplans oder der Satzung führen. Bei ihnen kann ein Interesse der Gemeinde an der Fehlerbeseitigung bestehen, während sich alle anderen formellen Fehler auf die Wirksamkeit des Flächennutzungsplans oder der Satzung nicht auswirken. § 215 Abs. 3 Satz 1 BauGB unterscheidet dagegen nicht, ob der Flächennutzungsplan oder die Satzung nur materiell nichtig sind oder ob die Nichtigkeit auch - bei einem Bebauungsplan oder einer anderen Satzung - in einem Normenkontrollverfahren festgestellt und die Nichtigerklärung mit Allgemeinverbindlichkeit bekanntgemacht worden ist. Eine Beschränkung der Heilungsmöglichkeit nach § 215 Abs. 3 Satz 1 BauGB auf solche nichtigen Bebauungspläne, die noch nicht Gegenstand einer Normenkontrollentscheidung waren, wäre auch nicht mit dem Sinn und Zweck der §§ 214 f. BauGB vereinbar, die Nichtigkeitsfolge von Planungsfehlern einzuschränken und, soweit dies wegen der Art oder Schwere des Fehlers nicht möglich erscheint, zumindest ihre Behebung zu erleichtern.

Eine Beschränkung der Anwendbarkeit des § 215 Abs. 3 Satz 1 BauGB auf Bebauungspläne und andere Satzungen, deren Nichtigkeit noch nicht förmlich festgestellt worden ist, ergibt sich aber auch nicht aus dem Verwaltungsprozeßrecht oder aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen.

Zu Unrecht beruft sich der Antragsteller im Anschluß an den Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 30. März 1990 (a.a.O.) für seine gegenteilige Auffassung auf § 47 Abs. 6 Satz 2 VwGO. Die Erklärung des Normenkontrollgerichts, daß eine Rechtsvorschrift nichtig sei, ändert die materielle Rechtslage nicht, sondern stellt sie lediglich deklaratorisch fest. Zwar hat die Nichtigerklärung der Rechtsvorschrift durch das Normenkontrollgericht nicht nur für die Verfahrensbeteiligten Bedeutung. Die Entscheidung ist vielmehr allgemeinverbindlich und deshalb ebenso wie die Rechtsvorschrift selbst bekanntzumachen. Aber auch daraus ergeben sich keine über die Nichtigerklärung der Norm hinausgehenden Wirkungen. Insbesondere führt die Nichtigerklärung nicht dazu, "daß in dem betroffenen Gebiet überhaupt kein Bebauungsplan existiert" (OVG Nordrhein-Westfalen, aaO), so daß auch die nicht beanstandeten Verfahrensabschnitte wiederholt werden müßten. Die Feststellung des Normenkontrollgerichts, daß ein Bebauungsplan nichtig sei, bedeutet nur, daß der Plan keine Rechtswirkungen als gemeindliche Satzung entfalten kann. Nur die Erklärung der Nichtigkeit des Plans ist Inhalt der Bekanntmachung nach § 47 Abs. 6 Satz 2 VwGO. Zum vorangegangenen Planungsverfahren enthält die Bekanntmachung keine "rechtsvernichtende" Aussage. Für die öffentliche Bekanntmachung ist es unerheblich, worauf sich die Feststellung der Nichtigkeit gründet. Die Begründung für die Erklärung der Nichtigkeit wird ohnehin nicht mitveröffentlicht; entscheidend ist allein, daß die Norm nichtig ist. Mehr kann aus § 47 Abs. 6 Satz 2 VwGO nicht entnommen werden.

Weitergehende Bindungen kann die Entscheidung des Normenkontrollgerichts allerdings zwischen den Beteiligten des Normenkontrollverfahrens entfalten (vgl. auch § 121 VwGO). Insoweit ist die Gemeinde nicht nur an den Tenor, sondern auch an die tragenden Gründe der Entscheidung gebunden (BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1988 - BVerwG 5 C 2.84 - Buchholz 424.01 § 40 FlurbG Nr. 8, S. 1 [7]; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1984 - BVerwG 3 C 88.82 - BVerwGE 68, 306 [307]). Die Gemeinde ist danach zwar gehindert, den Bebauungsplan unter Wiederholung des oder der Planungsfehler erneut zu erlassen. Hat also das Normenkontrollgericht die Nichtigerklärung allein auf das Fehlen einer Ausfertigung gestützt, so kommt eine erneute Bekanntmachung ohne Ausfertigung nicht in Betracht. Behebt die Gemeinde aber diesen Fehler, so steht auch die Bindungswirkung der Normenkontrollentscheidung einer erneuten Inkraftsetzung des Bebauungsplans nicht mehr im Wege.

Ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, daß ein für nichtig erklärter Bebauungsplan nicht gemäß § 215 Abs. 3 BauGB erneut erlassen wird, besteht nicht. Zwar hat der Senat entschieden, daß eine rückwirkende "Heilung" von Bebauungsplänen nach § 183 f Abs. 2 in Verbindung mit § 155 b BBauG 1979 ausgeschlossen ist, wenn der Bebauungsplan durch gerichtliche Normenkontrollentscheidung allgemeinverbindlich für nichtig erklärt worden ist (BVerwG, Beschluß vom 18. August 1982 - BVerwG 4 N 1.81 - BVerwGE 66, 116 [122]). Die Rechtslage nach diesen Vorschriften unterschied sich jedoch von der gegenwärtigen dadurch, daß nach ihr bisher zur Nichtigkeit führende Planungsfehler unmittelbar durch das (Bundes-)Gesetz für unbeachtlich erklärt wurden, ein bisher nichtiger Bebauungsplan also ohne Mitwirkung der Gemeinde rückwirkend zu geltendem Recht wurde. Daß diese Wirkung bei förmlich für nichtig erklärten Bebauungsplänen nicht mehr eintreten kann, rechtfertigt sich aus dem Vertrauen auf die allgemeinverbindliche Bekanntmachung der Nichtigkeit, aber auch aus dem Gebot der Rechtsklarheit; denn der Bürger kann nicht ohne erneute ortsübliche Bekanntmachung damit rechnen, daß die Nichtigerklärung des Plans gegenstandslos geworden sein könnte. § 215 Abs. 3 BauGB bewirkt dagegen nicht selbst eine "Heilung" von formellen Fehlern, sondern gestattet der Gemeinde nur, diese Fehler in einem vereinfachten Verfahren zu beheben. Verfährt die Gemeinde nach § 215 Abs. 3 BauGB, so lebt der mit Allgemeinverbindlichkeit für nichtig erklärte Bebauungsplan als solcher nicht wieder auf. Vielmehr tritt ein neuer Bebauungsplan in Kraft, auch wenn er inhaltlich mit dem alten Plan identisch ist. Selbst wenn die Gemeinde keinen neuen Satzungsbeschluß faßt, unterscheiden sich die Pläne formal zumindest durch den Zeitpunkt ihrer Bekanntmachung. Begründete Zweifel an der formellen Wirksamkeit des erneut bekanntgemachten Bebauungsplans können deshalb nicht entstehen.

Daraus folgt, daß eine Fehlerbehebung gemäß § 215 Abs. 3 BauGB auch bei Bebauungsplänen zulässig ist, die in einem Normenkontrollverfahren für nichtig erklärt worden sind (so auch Schmaltz, DVBl 1990, 1120; Redeker/von Oertzen, VwGO, 10. Aufl. 1991, § 47 Rdnr. 46; Kopp, VwGO, 9. Aufl. 1992, § 47 Rdnr. 71).