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Diese Entscheidung

Unwirksames Alkoholverbot in einer Fußgängerzone

VG Düsseldorf, Urteil vom 23.05.2018 - Az.: 18 K 8955/17

Leitsätze:
1. Das subjektive Sicherheitsgefühl von Anwohnern und Besuchern einer Innenstadt ist kein Schutzgut, das den Erlass einer Rechtsverordnung aufgrund von § 27 Abs. 1 OBG NRW rechtfertigen könnte. (Leitsatz des Herausgebers)

2. Zur Frage, in welchem Umfang alkoholbedingte Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen müssen, um den Erlass einer Rechtsverordnung aufgrund von § 27 Abs. 1 OBG NRW über das Verbot des Alkoholkonsums in einer Fußgängerzone zu rechtfertigen. (Leitsatz des Herausgebers)

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Volltext

Tenor

Es wird festgestellt, dass es der Klägerin nicht untersagt ist, gemäß § 2a der Ordnungsbehördlichen Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Stadtgebiet Duisburg in der aktuellen Fassung innerhalb des durch die Gutenbergstraße / Köhnenstraße / Landfermann Straße / Saarstraße / Mercatorstraße / Friedrich-Wilhelm-Straße / Friedrich-Wilhelm-Platz / Steinsche Gasse / Universitätsstraße / Großer Kalkhof / Beginengasse / Tibistraße / Unterstraße / Calaisplatz / Schwanenstraße / Poststraße begrenzten Bereiches außerhalb von konzessionierten Gastronomiebetrieben alkoholische Getränke zu konsumieren oder alkoholische Getränke mit sich zu führen, um sie innerhalb dieses Bereiches zu konsumieren.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Kern um die Rechtmäßigkeit eines sogenannten Alkoholkonsumsverbots.

Die Beklagte erließ für ihr Stadtgebiet am 25. September 2012 eine als „Ordnungsbehördliche Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Stadtgebiet Duisburg (Sicherheits- und Ordnungsverordnung)“ bezeichnete, nachfolgend SOV genannte Rechtsverordnung. In § 2 SOV („Störendes Verhalten in der Öffentlichkeit“) werden bestimmte Verhaltensweisen untersagt. Nach Absatz 1 ist auf Verkehrsflächen und in Anlagen jedes Verhalten untersagt, das geeignet ist, andere zu gefährden, mehr als nach den Umständen vermeidbar zu behindern oder zu belästigen sowie Sachen zu beschädigen, insbesondere durch … b) Störungen in Verbindung mit Alkoholkonsum oder dem Konsum sonstiger Rauschmittel (z. B. Verunreinigungen, Grölen, Belästigung von Passanten, Gefährdung anderer durch herumliegen lassen von Flaschen), … d) öffentliche Verrichtung der Notdurft, … und f) Lärmen, das geeignet ist, die Allgemeinheit, die Nachbarschaft oder Einzelne zu belästigen, z. B. durch Rufen, Schreien, sonstiges Erzeugen überlauter Geräusche. Nach § 16 SOV stellen vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlungen gegen diese Verordnung eine Ordnungswidrigkeit dar und können mit einer Geldbuße bis zu 1.000,- Euro geahndet werden. In seiner Sitzung vom 8. Mai 2017 beschloss der Rat der Beklagten eine Änderung der SOV durch Einfügung von § 2a mit folgendem Wortlaut:

„Alkoholkonsumverbot(1) Innerhalb des durch die Gutenbergstraße / Köhnenstraße / Landfermannstraße / Saarstraße / Mercatorstraße / Friedrich-Wilhelm-Straße / Friedrich-Wilhelm-Platz / Steinsche Gasse / Universitätsstraße / Großer Kalkhof / Beginengasse / Tibistraße / Unterstraße / Calaisplatz / Schwanenstraße / Poststraße begrenzten Bereiches ist es außerhalb von konzessionierten Gastronomiebetrieben verboten- alkoholische Getränke jeglicher Art zu konsumieren- alkoholische Getränke jeglicher Art mit sich zu führen, wenn aufgrund der konkreten Umstände die Absicht erkennbar ist, diese innerhalb dieses Bereichs konsumieren zu wollen.(2) § 2 dieser Verordnung bleibt durch dieses Verbot unberührt.(3) In Einzelfällen kann die Ordnungsbehörde aufgrund besonderer Anlässe ganz oder teilweise Ausnahmen vom Verbot des Absatzes 1 zulassen.(4) Das Verbot des Absatzes 1 gilt zunächst befristet vom 16. Mai 2017 bis zum 16. November 2017.“

Zur Begründung des Alkoholkonsumverbotes wurde in der Beschlussvorlage (Drucksache Nummer 17-0015) u.a. ausgeführt:

„Durch die Ansammlung von Alkoholkonsumenten in bestimmten Bereichen der Duisburger Innenstadt wird das subjektive Sicherheitsgefühl von Kunden, Besuchern und Einzelhändlern erheblich negativ beeinträchtigt. Passanten, Gewerbetreibende und Anwohner berichten regelmäßig von beobachteten Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch offensichtlich alkoholisierte Personen, beispielsweise in Form von Ruhestörungen, Sachbeschädigungen, Gewalttätigkeiten oder öffentlichem Urinieren und Erbrechen.“

Die Änderung wurde im Amtsblatt Nr. 20 vom 15. Mai 2017 bekannt gemacht. Gleichzeitig wurde eine Allgemeinverfügung bekannt gemacht, mit der § 2a Abs. 1 SOV an 17 teils mehrtägigen Anlässen (z.B. Abendmarkt Königstraße, jeweils donnerstags von 15:00 bis 21:00 Uhr, Aufstiegsfeier MSV Duisburg mit Autocorso am 21. Mai von 11:00 bis 16:00 Uhr, Jazz auf´m Platz, König Heinrich Platz an 4 bestimmten Tagen von 18:00 bis 22:00 Uhr, Duisburger Matjestfest, Königstraße, 4 Tage im Juni u.v.m.) aufgehoben wurde.

Am 22. Mai 2017 hat die Klägerin Klage erhoben.

Sie trägt vor, gelegentlich in der Duisburger Innenstadt mit Freunden alkoholische Getränke außerhalb konzessionierter Gastronomiebetriebe verzehrt zu haben und dies auch zukünftig zu beabsichtigen. Hieran sehe sie sich durch § 2a SOV gehindert, welcher ihre allgemeine Handlungsfreiheit in unzulässiger Weise beschränke. Eine abstrakte Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung liege im konkreten Einzelfall nicht vor, weil der Konsum von Alkohol auf einer öffentlichen Verkehrsfläche zum Gemeingebrauch gehöre und von der allgemeinen Handlungsfreiheit umfasst sei. In der Beschlussvorlage für den Rat sei nicht substantiiert dargelegt, welche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung es in der Vergangenheit gegeben habe und wie diese mit dem Alkoholkonsum außerhalb konzessionierter Gaststätten zusammenhingen. Auch habe die Beklagte nicht vorgetragen, ob etwaige Störungen im gesamten von der Verordnung erfassten Gebiet aufgetreten seien. Nach Einsicht in den Verwaltungsvorgang der Beklagten trägt die Klägerin ergänzend vor, die Beklagte habe das Vorliegen einer abstrakten Gefahr mit Rücksicht auf die geringe Anzahl von alkoholbedingten Vorfällen und die Größe des Verbotsgebietes nicht glaubhaft gemacht. Ein Zusammenhang zwischen der Zunahme der Delinquenz und dem Konsum von Alkohol im räumlichen Geltungsbereich der Verordnung werde nicht dargelegt.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass es ihr nicht gemäß § 2a der Ordnungsbehördlichen Verordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Stadtgebiet Duisburg in der aktuellen Fassung untersagt ist, innerhalb des durch die Gutenbergstraße / Köhnenstraße / Landfermann Straße / Saarstraße / Mercatorstraße / Friedrich-Wilhelm-Straße / Friedrich-Wilhelm-Platz / Steinsche Gasse / Universitätsstraße / Großer Kalkhof / Beginengasse / Tibistraße / Unterstraße / Calaisplatz / Schwanenstraße / Poststraße begrenzten Bereiches außerhalb von konzessionierten Gastronomiebetrieben alkoholische Getränke zu konsumieren oder alkoholische Getränke mit sich zu führen, um sie innerhalb dieses Bereiches zu konsumieren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, die Änderungsverordnung sei formell und materiell rechtmäßig. Das Alkoholkonsumverbot richte sich nicht gegen den Alkoholkonsum an sich, sondern an die im Zusammenhang damit immer wieder festgestellten Störungen durch alkoholisierte Personen. In der Vergangenheit seien regelmäßig und zahlreich Beschwerden vorgebracht worden, in denen über Ruhestörungen, Sachbeschädigungen sowie Gewalttätigkeiten oder öffentliches Urinieren und Erbrechen etc. berichtet werde. Bei diesen Vorfällen sei jeweils im Einzelfall die Schwelle zu einem Verstoß gegen die Rechtsordnung überschritten. Dies gelte u.a. auch für Verstöße gegen die sich aus § 2 SOV ergebenden Verbote. Ausreichend sei der hinreichend wahrscheinliche Eintritt einer Schädigung von Schutzgütern. Insgesamt sei von einem Zusammenhang zwischen dem Alkoholkonsum und der Zahl der fortgesetzten Verstöße gegen die Rechtsordnung auszugehen.

Während des Laufs des Klageverfahrens hat die Beklagte die Geltungsdauer des in § 2a Abs. 1 SOV enthaltenen Verbots mit der 2. Änderungsverordnung vom 27. November 2017 zunächst bis zum 31. März 2018 und sodann mit der 3. Änderungsverordnung vom 7. März 2018 bis zum 30. Juni 2021 verlängert. Gleichzeitig hat sie jeweils wiederum durch Allgemeinverfügung bestimmte Anlässe vom Verbot ausgenommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen.

Gründe

Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.

Mit Blick auf die Zulässigkeit liegen die Voraussetzungen für die Erhebung einer Feststellungsklage vor. Das gilt zunächst betreffend das Erfordernis eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin innerhalb des in § 2a SOV umschriebenen örtlichen Bereichs (im Folgenden: Verbotszone) außerhalb konzessionierter Gaststätten Alkohol verzehren darf bzw. Alkohol zu diesem Zwecke mit sich führen darf oder ob ihr dies aufgrund des Verbots in § 2a SOV verwehrt ist. Die Gültigkeit dieser Rechtsnorm ist damit nicht lediglich als abstrakte Rechtsfrage zur Entscheidung des Gerichts gestellt. Vielmehr ist ihre Anwendung auf einen bestimmten, in der Realität gegebenen Sachverhalt streitig. Ein Begehren dieser Art, in dem die Rechtmäßigkeit der Norm nur als - wenn auch streitentscheidende - Vorfrage aufgeworfen wird, kann mit der Feststellungsklage verfolgt werden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Juli 2012 - 5 A 2601/10 -, juris Rn. 31 m.w.N.

Der Klägerin steht auch ein Feststellungsinteresse zur Seite. Ohne Klärung der zwischen den Beteiligten streitigen Rechtslage darf die Klägerin entweder ein Recht, das ihr ihrer Meinung nach zusteht, nicht ausüben, oder sie muss sich der Gefahr aussetzen, dass ihr Handeln mit einer Geldbuße geahndet wird. Ein solcher Zustand ist einem Betroffenen jedenfalls dann nicht zuzumuten, wenn er - wie hier - seine Rechte nicht mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1972 - I C 33.68 -, juris Rn. 7.

Die Klage ist auch begründet.

Der Klägerin ist es nicht untersagt, in der Verbotszone außerhalb von konzessionierten Gastronomiebetrieben alkoholische Getränke zu konsumieren oder solche Getränke in der Absicht mit sich zu führen, sie innerhalb der Verbotszone zu konsumieren. Einem solchen Konsum bzw. Mitführen steht insbesondere nicht § 2a Abs. 1 SOV entgegen. Denn das in dieser Regelung enthaltene Verbot erweist sich als rechtswidrig. Es lässt sich nicht auf § 27 Abs. 1 OBG NRW stützen.

Gemäß § 27 Abs. 1 OBG NRW können die Ordnungsbehörden - unter Beachtung insbesondere der Vorgaben in §§ 29, 30 OBG NRW - zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung Verordnungen erlassen. Tatbestandliche Voraussetzung für den Erlass einer solchen ordnungsbehördlichen Verordnung ist das Vorliegen einer abstrakten Gefahr für ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung.

Eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz zu bekämpfen. Dabei unterscheidet sich die abstrakte Gefahr von der konkreten Gefahr nicht durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, sondern (nur) durch den Bezugspunkt der Gefahrenprognose. Vor diesem Hintergrund verlangt auch die Feststellung einer abstrakten Gefahr eine in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherte Prognose. Insoweit müssen - bei abstrakt-genereller Betrachtung - hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die den Schluss auf den drohenden Eintritt von Schäden rechtfertigen.

BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2002 - 6 CN 8.01 -, juris Rn. 35.

Mit Blick auf die Betroffenheit des jeweiligen Schutzguts muss die Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts umso größer sein, je geringer der möglicherweise eintretende Schaden ist, und sie darf umso kleiner sein, je schwerer der etwa eintretende Schaden wiegt.

BVerwG, Urteil vom 3. Juli 2002 - 6 CN 8.01 -, juris, Rn. 41.

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegt eine - das in § 2a SOV enthaltene Verbot rechtfertigende - abstrakte Gefahr für ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit bzw. Ordnung nicht vor. Dass der Konsum von Alkohol in der in § 2a SOV umschriebenen Verbotszone bei generell-abstrakter Betrachtung mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit zu Schäden im Einzelfall führt, ist nicht feststellbar. Ein solcher Zusammenhang lässt sich weder aus der allgemeinen Lebenserfahrung noch aus fachlichen Erkenntnissen ableiten.

Zunächst ist festzuhalten, dass nicht der Konsum von Alkohol als solcher das potenziell schädigende Verhalten darstellt, sondern der Konsum von Alkohol (gegebenenfalls) lediglich Verhaltensweisen auslöst, die zu Schädigungen von Schutzgütern der öffentlichen Sicherheit bzw. Ordnung führen können. Eine allgemeine Lebenserfahrung, dass Alkoholgenuss generell dazu führt, dass der jeweilige Konsument die öffentliche Sicherheit und Ordnung in diesem Sinn mittelbar stört, besteht jedoch nicht. Zwar mag als allgemein bekannt gelten, dass Alkoholkonsum den Tatentschluss, die Motive oder die Begehungsweisen bei Straftaten in hohem Maße beeinflussen und das Aggressions- und Gewaltpotential im Einzelfall erhöhen kann. Jedoch hängt es insbesondere von den äußeren Umständen, den individuellen Gegebenheiten und Befindlichkeiten sowie den situativen Einflüssen ab, welche Wirkungen Alkoholgenuss bei dem Einzelnen zeigt.

OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Juli 2017, - OVG 12 S 7/17 -, nicht veröffentlicht, Seite 4, 3. Absatz der Entscheidung.

Dass Alkoholkonsum auch von der Beklagten nicht generell als Gefahr für die öffentliche Sicherheit bzw. Ordnung angesehen wird, zeigt sich im Übrigen darin, dass das Verbot nur außerhalb konzessionierter Gaststätten gilt und darüber hinaus regelmäßig öffentliche Veranstaltungen und Feste von dem Alkoholkonsumverbot ausgenommen werden.

Aber auch der Konsum von Alkohol außerhalb konzessionierter Gaststätten und zu den vom Verbot nicht ausgenommenen Zeiten stellt im Sinne des § 27 Abs. 1 OBG NRW keine abstrakte Gefahr dar. Nachdem ein entsprechender Zusammenhang zu bestimmten Schäden nicht bereits aus der allgemeinen Lebenserfahrung folgt, lässt sich für die konkrete Verbotszone auch nicht aus fachlichen Erkenntnissen ableiten, dass der Konsum von Alkohol regelmäßig und typischerweise zum Eintritt von Schäden, etwa infolge alkoholbedingter Gewaltdelikte, führt.

Das gilt zunächst betreffend den Umstand, dass sich innerhalb der Verbotszone offenbar regelmäßig Menschen niederlassen, die (z.T.) gewohnheitsmäßig Alkohol zu sich nehmen (sogenannte „Trinkerszene“). Soweit dies bei Bürgern und Passanten gegebenenfalls das Einkaufserlebnis schmälert und das Alkoholkonsumverbot von der Beklagten als „Maßnahme zur Steigerung der Attraktivität und des Einkaufserlebnisses in der Innenstadt“ gesehen wird,

s. Beschlussvorlage des Rates der Beklagten vom 6. Februar 2017, Drucksachen-Nr. 17-0015,

sind dies Aspekte, die jedenfalls nicht per se Gegenstand von Gefahrenabwehrmaßnahmen sein können. Denn insoweit stehen die Verbesserung des Einkaufsgefühls und auch die Stärkung der Verkaufsinteressen Gewerbetreibender im Vordergrund. Gleiches gilt, soweit durch die Gegenwart von alkoholkonsumierenden Personen(gruppen) das subjektive Sicherheitsgefühl von Anwohnern und Gästen der Innenstadt beeinträchtigt sein sollte. Denn ein solches Sicherheitsgefühl ist nicht Schutzgut der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.

Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Juli 2017- OVG 12 S 7/17 -, nicht veröffentlicht, Seite 7.

Objektive Anhaltspunkte, dass aus dem Vorhandensein der „Trinkerszene“ bzw. generell dem Alkoholkonsum außerhalb konzessionierter Gaststätten im Bereich der Verbotszone im Sinne einer abstrakten Gefahr Schäden für Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit bzw. Ordnung resultieren (können), liegen in belastbarer Qualität nicht in einem hinreichendem Maß vor. Unabhängig davon, ob und mit welchem Gewicht z.B. auch Verstöße gegen die sich aus § 2 SOV ergebenden Verbote zur Annahme eine abstrakten Gefahr beitragen können, lassen sich die von der Beklagten angeführten „fortgesetzten Verstöße“ gegen die Rechtsordnung nicht feststellen. Sie lassen sich insbesondere nicht aus den von der Beklagten dokumentierten Beispielsfällen ableiten. Das festzustellende Verhältnis zwischen der Anzahl der Personen, die - ggf. auch regelmäßig - Alkohol konsumieren und dem quantitativen und qualitativen Ausmaß der Störungen der öffentlichen Sicherheit ist zu gering, als dass es eine hinreichende Wahrscheinlichkeit in dem o.g. Sinne begründen könnte. Ausweislich der Übersicht auf Blatt 106 im Verwaltungsvorgang der Beklagten ist es in den Jahren 2011 bis 2013 zu jeweils 9 sogenannten „störenden Verhalten in Verbindung mit Alkohol“ gekommen. Im Jahre 2014 wurden 19 solcher Vorfälle erfasst, im Jahr 2015 wieder 9 und im Jahr 2016 nur 6 Vorfälle. Selbst in der Annahme, dass sich alle Vorfälle in der späteren Verbotszone ereignet haben, sowie ferner in der Annahme, dass allen Vorfällen im Freien und nicht zu Hause oder in Gaststätten verzehrter Alkohol zugrunde lag, kann nicht im Ansatz davon gesprochen werden, dass darin eine Häufung von alkoholbedingten Verstößen gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu erkennen ist. Im Gegenteil stellen sich die dokumentierten Fallzahlen angesichts der erheblichen räumlichen Ausdehnung der Verbotszone als gering dar. Insoweit ist neben der Größe der Verbotszone auch deren Charakter zu berücksichtigen. Die Verbotszone ist nahezu identisch mit der als Fußgängerzone gestalteten Innenstadt der Beklagten, in der sich bestimmungsgemäß mehr Menschen aufhalten als in vorwiegend dem Verkehr mit Fahrzeugen gewidmeten Bereichen. Hinzu kommt, dass es sich bei den dokumentierten Vorfällen ganz überwiegend um Ordnungswidrigkeiten von eher geringem Gewicht und nicht um Straftaten handelt.

Die für die Annahme einer abstrakten Gefahr im Sinne des § 27 Abs. 1 OBG NRW erforderliche Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts aufgrund Alkoholkonsums in der Verbotszone lässt sich auch nicht aus der von der Beklagten vorgelegten Evaluation des Alkoholkonsumsverbots ableiten. Ungeachtet des Umstandes, dass diese Erhebung nicht vor Erlass des § 2a SOV vorgelegen hat, stellt sie lediglich das Ergebnis einer Bürgerbefragung, nicht jedoch eine Dokumentation von Fällen alkoholbedingter Verhaltensweisen dar. Ausweislich der einleitenden Passage mit der Überschrift „1. Hintergrund“ wurden durch die Evaluation die Akzeptanz, die Einstellung und die Folgen (für) unterschiedliche(r) Betroffene(r) gegenüber dem Verbot ermittelt. Das mit dieser Erhebung bestenfalls festgestellte subjektive Sicherheitsgefühl der Anwohner ist - wie bereits ausgeführt - indes nicht Schutzgut der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und kann zur Rechtfertigung der streitgegenständlichen ordnungsbehördlichen Verbotsnorm des § 2a Abs. 1 SOV schon aus diesem Grund nicht herangezogen werden.

Fehlt es danach für den Erlass eines Alkoholkonsumsverbots im Wege einer ordnungsbehördlichen Verordnung an einer abstrakten Gefahr für Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit bzw. Ordnung, stellt sich die mit § 2a SOV erfolgte Reaktion auf die relativ geringe Anzahl von (dokumentierten) Schäden (gleichzeitig) als Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dar. Denn mit der Vorschrift des § 2 Abs. 1 Buchstaben b), d) und/oder f) SOV steht der Beklagten bereits ein Mittel zur Verfügung, negativen Wirkungen des (übermäßigen) Alkoholkonsums mit der Verhängung eines Bußgeldes zu begegnen. Insoweit sind gemäß § 2 Abs. 1 lit. b) SOV bereits Störungen i.V.m. Alkoholkonsum untersagt, z.B. Verunreinigungen, Grölen und die Belästigung von Passanten. Gleiches gilt für die öffentliche Verrichtung der Notdurft (§ 2 Abs. 1 lit. d) SOV) sowie für Lärmen, das geeignet ist, die Allgemeinheit, die Nachbarschaft oder einzelne zu belästigen (§ 2 Abs. 1 lit. f) SOV). All dies sind Verhaltensweisen, die zum Teil ausdrücklich auch Gegenstand der Begründung für den Erlass der Vorschrift des § 2a SOV waren.

S. Beschlussvorlage des Rates der Beklagten vom 6. Februar 2017, Drucksachen-Nr. 17-0015.

Dass die im Zusammenhang mit § 2 SOV zur Verfügung stehenden Mittel etwa im Wege entsprechend engmaschiger Kontrollen erfolglos ausgeschöpft sind, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich. § 2a SOV darf überdies auch nicht ausschließlich der Erleichterung der Überwachung der aus § 2 SOV folgenden Verbote dienen. Dem steht § 29 Abs. 1 Satz 2 OBG NRW entgegen, wonach ordnungsbehördliche Verordnungen nicht lediglich den Zweck haben dürfen, die den Ordnungsbehörden obliegende Aufsicht zu erleichtern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 167 Abs. 2 (analog) und 1 VwGO, 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.