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Diese Entscheidung

Keine Pflicht zur Sicherung von Gullydeckeln gegen Abheben

OLG Hamm, Beschluss vom 26.10.2022 - Az.: 11 U 5/22

Leitsätze:
1. Schachtabdeckungen in einer Straße, die nicht versehentlich, sondern nur bewusst aus ihrer Auflage gelöst werden können, mĂŒssen gegen unbefugtes Abheben nur dann besonders gesichert werden, wenn aufgrund besonderer UmstĂ€nde ein solches Abheben naheliegt. Die allgemeine Möglichkeit, dass es insofern zu Vandalismus kommen kann, reicht nicht aus. (Leitsatz des Herausgebers)

2. Auch eine Haftung des Betreibers einer Kanalisation aus § 2 Abs. 1 Satz 2 HPflG fĂŒr SchĂ€den, die dadurch entstehen, dass Dritte einen Gullydeckel aus einem Sinkkasten herausheben und auf eine Fahrbahn legen, scheidet normalerweise aus. Bei so einem Vorgang handelt es sich regelmĂ€ĂŸig um höhere Gewalt im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG. (Leitsatz des Herausgebers)

Volltext

Tenor

Der Senat weist nach Beratung darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemĂ€ĂŸ § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurĂŒckzuweisen.

Dem KlĂ€ger wird Gelegenheit gegeben, binnen zwei Wochen nach Zugang dieses Beschlusses zu dem Hinweis Stellung zu nehmen oder die Berufung aus KostengrĂŒnden zurĂŒckzunehmen.

Gründe

Die Berufung ist zulĂ€ssig, hat aber nach einstimmiger Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat weder grundsĂ€tzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats. Auch eine mĂŒndliche Verhandlung, von der neue entscheidungserhebliche Erkenntnisse nicht zu erwarten sind, ist nicht geboten, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die mit der Berufung gegenĂŒber dem angefochtenen Urteil erhobenen EinwĂ€nde rechtfertigen weder die Feststellung, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO), noch ergeben sich daraus konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der VollstĂ€ndigkeit und Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begrĂŒnden und eine erneute Feststellung gebieten. Die daher nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine abweichende Entscheidung.

I.

Das Landgericht hat zutreffend einen Schadensersatzanspruch des KlĂ€gers wegen Amtspflichtverletzung gemĂ€ĂŸ § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG, §§ 9, 9a, 47 StrWG NW aufgrund des Unfallgeschehens am 28.03.2021 gegen 01.00 Uhr auf der A-Straße im Gebiet der beklagten Stadt – die Richtigkeit der Unfalldarstellung des KlĂ€gers dabei unterstellt – verneint.

Der Beklagten fĂ€llt keine Verletzung der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht fĂŒr die öffentlichen Straßen und Wege in ihrem Gemeindegebiet zur Last. Es besteht kein Anhaltspunkt dafĂŒr, dass sie eine Verantwortlichkeit fĂŒr das Vorhandensein eines Gullydeckels inmitten der vom KlĂ€ger befahrenen Fahrbahn trifft. Die einzige naheliegende ErklĂ€rung hierfĂŒr ist, dass – wie von der Beklagten unbestritten und plausibel dargelegt wurde – der Gullydeckel zeitnah vor dem Unfall von unbekannten Personen auf die Fahrbahn gelegt wurde. Derartigen sinnlosen Vandalismus kann eine Kommune nicht mit zumutbaren Mitteln verhindern.

Ohne Erfolg macht die Berufung geltend, dass es die Beklagte versĂ€umt habe, den Gullydeckel durch eine geeignete Vorrichtung gegen das Herausheben aus dem Sinkkasten zu sichern. Nach stĂ€ndiger Rechtsprechung muss ein zur Verkehrssicherung Verpflichteter zwar die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine SchĂ€digung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst jedoch nur jene Maßnahmen, die ein umsichtiger und verstĂ€ndiger, in vernĂŒnftigen Grenzen vorsichtiger Mensch fĂŒr notwendig und ausreichend halten muss, um andere vor SchĂ€den zu bewahren. Dabei ist zu berĂŒcksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefĂ€hrden, wĂ€re utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede SchĂ€digung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Deshalb muss nicht fĂŒr alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur diejenigen Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die SchĂ€digung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist genĂŒgt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung fĂŒr erforderlich hĂ€lt. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verstĂ€ndiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise fĂŒr ausreichend halten darf, um andere Personen vor SchĂ€den zu bewahren, und die den UmstĂ€nden nach zuzumuten sind. Kommt es in FĂ€llen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine GefĂ€hrdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden UmstĂ€nden zu befĂŒrchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so realisiert sich ein allgemeines Lebensrisiko und muss der GeschĂ€digte den Schaden selbst tragen. Sicherheitsvorkehrungen sind hingegen umso mehr erforderlich, je grĂ¶ĂŸer die Gefahr und die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung ist. Unter diesen Voraussetzungen kann die Pflicht eines Verkehrssicherungspflichtigen fĂŒr öffentliche Wege und Straßen auch solche GefĂ€hrdungen umfassen, die sich erst aus dem vorsĂ€tzlichen Eingreifen eines Dritten ergeben (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 29. Februar 2012 – 7 U 92/11 –, juris m.w.N.).

Nach diesen GrundsĂ€tzen mĂŒssen Schachtabdeckungen, die nicht versehentlich, sondern nur bewusst aus ihrer Auflage gelöst werden können, nur dann durch besondere Vorkehrungen gegen ein Abheben gesichert werden, wenn aufgrund besonderer UmstĂ€nde ein solches Abheben durch Unbefugte naheliegt, deshalb fĂŒr die RechtsgĂŒter anderer Personen eine konkrete erhebliche Gefahrenlage besteht und dem Verkehrssicherungspflichtigen eine Beseitigung dieser Gefahrenlage durch zumutbare Maßnahmen möglich ist. Die von dem Inhaber einer solchen Anlage zu fordernden Vorkehrungen mĂŒssen nicht nur technisch möglich, sondern auch wirtschaftlich tragbar sein.

Im vorliegenden Fall war zwar nicht völlig auszuschließen, lag aber auch nicht nahe, dass Dritte den Gullydeckel sinnlos und in straßenverkehrsgefĂ€hrdender Weise auf der Straße ablegen. Der Beklagten ist es insofern wirtschaftlich nicht zuzumuten, sĂ€mtliche Gullys und sonstigen Abdeckungen der im Gemeindegebiet befindlichen KanalisationsschĂ€chte mit Schlössern oder sonstigen Sicherungsvorrichtungen zu versehen, um sie vor einem unbefugten Herausheben zu sichern. Es liegt auf der Hand, dass bei der großen Zahl von Gullys und sonstigen AbwasserschĂ€chten in ihrem Gemeindegebiet derartige Sicherungsvorrichtungen nicht nur erhebliche Kosten verursachen wĂŒrden, sondern darĂŒber hinaus auch die laufenden Kontrollen sowie die Reinigungs- und Wartungsarbeiten an den RegeneinlaufschĂ€chten erschweren wĂŒrden. DemgegenĂŒber ist das Ausmaß der GefĂ€hrdung durch von Unbefugten abgehobenen Gullydeckeln aufgrund der Seltenheit derartiger Handlungsweisen in der Regel nicht als ĂŒbermĂ€ĂŸig groß anzusehen (vgl. OLG Celle, Urteil vom 20.02.1991 – 9 U 235/89, VersR 1991, S. 1382; OLG SaarbrĂŒcken, Urteil vom 20.05.2021 – 4 U 21/20 – juris). UmstĂ€nde, aus denen sich im vorliegenden Fall ausnahmsweise eine andere Bewertung ergeben könnte, sind nicht ersichtlich.

II.

Zudem bestehen auch – vom Landgericht nicht in ErwĂ€gung gezogen – keine AnsprĂŒche des KlĂ€gers aus § 2 Abs. 1 Satz 2 HPflG. Nach dieser Vorschrift haftet der Betreiber einer Rohrleitungsanlage fĂŒr SchĂ€den, die sich aus dem Vorhandensein einer solchen Anlage ergeben. Dabei kann zugunsten des KlĂ€gers davon ausgegangen werden, dass die beklagte Stadt Betreiberin der Kanalisation in ihrem Gemeindegebiet ist und der aus einem Kanalschacht herausgehobene und gebrochene Deckel eines Gullys Teil der Rohrleitungsanlage.

Denn jedenfalls handelt es sich bei dem Herausheben eines derartigen Gullydeckels aus seiner Verankerung und dem Ablegen auf einer öffentlichen Straße um höhere Gewalt, was gemĂ€ĂŸ § 2 Abs. 3 Nr. 3 HPflG die Haftung der Beklagten ausschließt.

Höhere Gewalt ist ein betriebsfremdes, von außen durch elementare NaturkrĂ€fte oder Handlungen dritter Personen einwirkendes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich ertrĂ€glichen Mitteln auch durch die Ă€ußerste nach der Sachlage vernĂŒnftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhĂŒtet oder unschĂ€dlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner HĂ€ufigkeit vom Betriebsunternehmen in Kauf zu nehmen ist. Der Begriff der höheren Gewalt ist ein wertender Begriff, der die Risiken ausschließen will, die mit dem Betrieb der Anlage nichts zu tun haben und bei einer rechtlichen Bewertung nicht mehr dieser Anlage, sondern allein einem Drittereignis zugerechnet werden können. Das kann auch ein durch Handlungen dritter Personen herbeigefĂŒhrtes Ereignis sein (vgl. OLG Celle, a.a.O.; OLG Karlsruhe, a.a.O.).

Muss vorliegend davon ausgegangen werden, dass der Gullydeckel von unbekannten Dritten aus seiner Fassung gehoben und auf die Straße gelegt wurde, stellt dieser rechtswidrige Eingriff Dritter ein von außen auf die Anlage einwirkendes Ereignis dar, das seine Ursache nicht in der Anlage selbst hat und nicht mit deren Gefahrenquellen zusammenhĂ€ngt. Vielmehr handelt es sich um ein außergewöhnliches Ereignis, das in seinem Ausnahmecharakter einem elementaren Ereignis gleichkommt und nicht zum Betriebsrisiko der Rohrleitungsanlage gerechnet werden kann. Dieses konnte – entsprechend den oben stehenden AusfĂŒhrungen – auch durch Ă€ußerste, nach der Sachlage vernĂŒnftigerweise zu erwartende Sorgfalt mit wirtschaftlich ertrĂ€glichen Mitteln nicht verhindert werden.