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Diese Entscheidung

Unzulässige Werbung von Amtsträgern im Kommunalwahlkampf

VGH Kassel, Urteil vom 10.10.1991 - Az.: 6 UE 2578/90

Leitsätze:
Es ist den Amtsträgern einer Gemeinde verwehrt, in ihrer amtlichen Eigenschaft während der "heißen Phase" des Kommunalwahlkampfs Erfolgs- und Leistungsberichte an wahlberechtigte Bürger zu versenden (im Anschluss an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 02. März 1977 - 2 BvE 1/76 - BVerfGE 44, 125 ff., 138 ff). Kann sich diese verbotene amtliche Wahlwerbung auf die Sitzverteilung in der Gemeindevertretung ausgewirkt haben, so muss die Wahl zur Gemeindevertretung wiederholt werden. (amtlicher Leitsatz)

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Volltext

Tatbestand

Die Kläger wollen mit dem Verwaltungsstreitverfahren erreichen, dass die am 12. März 1989 durchgeführte Wahl zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bad Vilbel für ungültig erklärt und wiederholt wird.

Mit Schreiben vom 6. März 1989, abgesandt am 9. März 1989, luden der Bürgermeister und der Erste Stadtrat der Stadt Bad Vilbel unter dem Briefkopf "Stadt Bad Vilbel - Der Magistrat" die Gewerbetreibenden der Stadt zu einem Gespräch ein, das am 15. März 1989 stattfinden sollte. Das Schreiben hat im übrigen folgenden Wortlaut:

"Wir legen großen Wert auf diesen Meinungsaustausch, weil wir wollen, dass auch stets der Sachverstand der Wirtschaft in die Entscheidungen städtischer Gremien einfließt. Schließlich leistet die heimische Wirtschaft einen ausschlaggebenden Beitrag zu Arbeitsplätzen und Wohlstand.

Niemand kann allen Recht tun. Sie dürfen aber die Gewissheit haben, dass im Vergleich zu vielen anderen öffentlichen Kassen in Bad Vilbel besonders sorgfältig mit Steuergeldern umgegangen wird. Dies beweisen der hohe Schuldenabbau von 16,5 Millionen DM, das Lob vom Steuerzahlerbund, die sehr maßvolle Abgabenpolitik sowie die rundum erfreuliche Entwicklung der Stadtwerke, trotz sehr niedriger Preise im landes- und bundesweiten Vergleich.

Trotzdem wurde viel investiert, insbesondere in die Gasversorgung, Kanalsanierung, Straßenbau, Gehwegerneuerung und Stadtsanierung. Das Reinvermögen der Stadt wuchs seit 1977 um über 80 Millionen DM.

Der Bau der Entlastungsstraßen B 3a und Nordumgehung konnte gegen starke Widerstände durchgesetzt werden. Nun muss nur noch der schädliche Plan abgewehrt werden, auf eine Zufahrt zur B 3a in Massenheim zu verzichten, weil die B 3a dann ohne Anschluss an Bad Vilbel nutzlos vorbeiliefe.

Die Stadtsanierung, eine neue Verkehrsregelung in der Innenstadt, die Neugestaltung der Frankfurter Straße und der Bau einer Tiefgarage für den ruhenden Verkehr werden neben einem vernünftigen Umweltschutz Schwerpunkte in den kommenden Jahren sein.

Trotz großer Aufgaben planen wir keine Steuererhöhung. Wir konnten sogar in den Jahren 1978 - 1980 die Lohnsummensteuer ersatzlos abschaffen und trotzdem die Gewerbe- und Grundsteuer senken.

Es konnten durch die Schuldentilgung gute Grundlagen für die Zukunft gelegt werden, weil der jährliche Zinsaufwand von 2,4 Millionen DM auf 0,6 Millionen DM verringert werden konnte. Ebenso ist der Personalkostenanteil in Bad Vilbel mit 23 bis 25 % deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 32 %.

Bad Vilbel ist von einer finanzschwachen Gemeinde zur finanzstärksten Stadt in der Wetterau aufgestiegen. Wir haben also in Bad Vilbel einige Trümpfe in der Hand, die bei kluger Nutzung unsere Stadt weiter voranbringen werden. Bad Vilbel soll noch schöner, attraktiver und lebenskräftiger werden.

Wir freuen uns auf das Gespräch mit Ihnen.

Es grüßen herzlich"

Es folgen die Unterschriften des Bürgermeisters und des Ersten Stadtrats, die beide der CDU angehören.

Dem Schreiben war ein Informationsblatt beigefügt, in dem aus Anlass von Presseberichten vom 28. Februar 1989 und 7. März 1989 betreffend angebliche Äußerungen des Spitzenkandidaten der SPD für das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main gegen eine Eingemeindung Bad Vilbels nach Frankfurt Stellung genommen wurde.

Mit einem an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung Bad Vilbel gerichteten und ebenfalls unter dem Briefkopf "Stadt Bad Vilbel - Der Magistrat" verfassten Schreiben vom 9. März 1989 warnte der Bürgermeister ebenfalls vor einer Eingemeindung Bad Vilbels.

Bei der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bad Vilbel am 12. März 1989 erhielten die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) 8.643 Stimmen, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) 4.359 Stimmen, die Grünen 1.128 Stimmen, die Freie Demokratische Partei (F.D.P.) 748 Stimmen, die Friedensliste (FL) 206 Stimmen und die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) 193 Stimmen, so daß auf die CDU 23 Sitze, die SPD 11 Sitze und die Grünen 3 Sitze entfielen. Die F.D.P. erhielt im Wahlkreis Bad Vilbel 4,9 % der abgegebenen Stimmen und verfehlte die 5-prozentige Sperrklausel um 16 Stimmen. Der Gemeindewahlausschuss stellte dieses Wahlergebnis in seiner Sitzung vom 14. März 1989 fest. Die öffentliche Bekanntmachung erfolgte am 16. März 1989.

Mit Schreiben vom 22. März 1989, eingegangen bei dem Magistrat der Stadt Bad Vilbel am 23. März 1989, erhoben die Kläger unter Bezugnahme auf die genannten Schreiben Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bad Vilbel. Eine solche Wahlwerbung und Wahlbeeinflussung durch Amtsträger in ihrer amtlichen Funktion sei auch in den Ländern unzulässig, in denen - wie in Hessen - ausdrückliche Regelungen hierzu im Kommunalwahlrecht fehlten. Mit Beschluss vom 18. April 1989, der den Klägern mit Schreiben vom 19. April 1989 mitgeteilt wurde, wies die Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bad Vilbel die Einsprüche zurück und erklärte die am 12. März 1989 durchgeführten Wahlen für gültig.

Am 10. Mai 1989 haben die Kläger Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, die Versendung beider Schreiben sei fast gleichzeitig wie entsprechende Wahlkampfmaßnahmen der CDU erfolgt. Der Bürgermeister und der Erste Stadtrat hätten den Magistrat nicht über die angeblich so drängende Problematik einer möglichen Eingemeindung der Stadt nach Frankfurt informiert. Dies lasse sich nur daraus erklären, dss mit den Äußerungen direkt Einfluss auf den Wahlkampf habe genommen werden sollen. Diese unzulässigen Wahlbeeinflussungen stellten "Unregelmäßigkeiten im Wahlverfahren" im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 des Kommunalwahlgesetzes dar. Es spreche viel dafür, dass das Fehlen von nur 16 Stimmen durch die massive amtliche Wahlpropaganda in einem Wahlkreis, in dem erfahrungsgemäß mit einer erheblichen Anzahl von F.D.P.-Wählern gerechnet werden könne, herbeigeführt worden sei.

Die Kläger haben beantragt, den Beschluss der Beklagten vom 18. April 1989 aufzuheben und die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bad Vilbel vom 12. März 1989 für ungültig zu erklären. Dia Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die von den Klägern beanstandeten Schreiben hielten sich nach Inhalt, äußerer Form und Aufmachung in den Grenzen der den kommunalen Amtsträgern gestatteten Öffentlichkeitsarbeit. Gegen eine unzulässige Wahlbeeinflussung spreche auch, dass der Magistrat kontinuierlich Öffentlichkeitsarbeit leiste und diese Arbeit im Wahlkampf nicht zunehme. Auch seien die Schreiben ausschließlich an besonders betroffene Bevölkerungsgruppen gerichtet gewesen. Von einem planmäßigen Verhalten des Bürgermeisters und des ersten Stadtrats könne nicht gesprochen werden. Akuter und völlig überraschender Anlass sei die Eingemeindungsbestrebungen betreffende Äußerung des SPD-Spitzenkandidaten in dem Interview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gewesen. Durch diesen akuten Anlass seien die Veröffentlichungen gerechtfertigt gewesen. Auf die bevorstehende Wahl zur Stadtverordnetenversammlung habe die Einladung der Gewerbetreibenden keinen Bezug genommen. Das Verhalten des Magistrats sei auch ohne Einfluss auf die Sitzverteilung im Stadtparlament gewesen. Bereits seit der Kommunalwahl 1972 habe die F.D.P. in Bad Vilbel ständig Wählerverluste hinzunehmen gehabt.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 7. Juni 1990 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es könne nicht feststellen, dass es zu Unregelmäßigkeiten beim Wahlverfahren im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 des Kommunalwahlgesetzes gekommen sei. Ob das Wahlverfahren nur den formal-technischen Ablauf der Wahlhandlung einschließlich ihrer gesamten Vorbereitung betreffe oder der innere Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Wählers ebenfalls durch die Vorschrift geschützt werde, könne dahingestellt bleiben. Das Gericht neige zwar der Auffassung zu, dass die beiden Schreiben den Anforderungen an eine sachlich gebotene amtliche Öffentlichkeitsarbeit nicht mehr gerecht geworden seien, zumal auch nicht berücksichtigt worden sei, dass inzwischen die sogenannte "heiße Phase" des Wahlkampfes erreicht gewesen sei. Eine verfassungswidrige parteiergreifende Einwirkung liege jedoch erst dann vor, wenn die Entscheidungsfreiheit des Wählers ernstlich beeinträchtigt werde, was erst dann der Fall sei, wenn eine "ins Gewicht fallende Häufung und Massivität offenkundiger Grenzüberschreitung" zu verzeichnen sei. Diese Stufe hätten die beiden Schreiben nicht erreicht.

Gegen das am 24. Juli 1990 zugestellte Urteil haben die Kläger zusammen mit sechs anderen Klägern Berufung eingelegt, die ihr Bevollmächtigter mit Schriftsatz vom 17. August 1990, eingegangen bei dem Verwaltungsgericht am 20. August 1990, auf die im Rubrum des Urteils genannten beiden Kläger beschränkt hat. Mit Beschluss vom 6. September 1991 hat der Senat hinsichtlich der Kläger, die das Verfahren nicht weiter betreiben, das Berufungsverfahren eingestellt und im übrigen die am 12. März 1989 gewählten 37 Stadtverordneten zum Verfahren beigeladen. Mit Beschlüssen vom 27. September 1991 und 4. Oktober 1991 hat der Senat die Beiladungen von zwei Stadtverordneten aufgehoben und die beiden nachgerückten Stadtverordneten beigeladen.

Die Kläger tragen vor, der Begriff der "Unregelmäßigkeiten beim Wahlverfahren" sei weit zu fassen. Er umfasse unter anderem alle rechtswidrigen Verhaltensweisen von Behörden. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könnten unzulässige Beeinflussungen der Wahl von außen zu einer Ungültigerklärung der Wahl im Wahlprüfungsverfahren führen. Für eine Unterscheidung zwischen "rechtlich relevanten" und "rechtlich nicht relevanten" unzulässigen Wahlbeeinflussungen fehle es an jeder Grundlage im Gesetz. Maßgeblich sei, ob die fragliche Unregelmäßigkeit auf die Verteilung der Sitze von Einfluss gewesen sein könne. Hieran könne angesichts des knappen Wahlergebnisses kein Zweifel bestehen.

Die Kläger beantragen, das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 7. Juni 1990 und den Beschluss der Beklagten vom 18. April 1989 aufzuheben und die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bad Vilbel vom 12. März 1989 für ungültig zu erklären. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie trägt vor, das Verhalten des Bürgermeisters bzw. des Ersten Stadtrats stelle keine unzulässige Beeinflussung, sondern eine sachlich gebotene und damit noch zulässige Öffentlichkeitsarbeit dar. Aber auch dann, wenn man vom Vorliegen einer unzulässigen Wahlbeeinflussung ausgehe, könnten nur gravierende Verstöße "Unregelmäßigkeiten im Wahlverfahren" sein. Eine ins Gewicht fallende Häufung und Massivität offenkundiger Grenzüberschreitung sei jedoch nicht gegeben.

Die Beigeladenen stellen keine Anträge.

Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (1 Heft) sowie die Unterlagen des Gemeindewahlleiters (1 Ordner) haben vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf diese Unterlagen sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgemäß erhoben.

Sie ist auch begründet, denn das Verwaltungsgericht hätte die Klage nicht abweisen dürfen.

Die Klage ist zulässig und begründet. Das unter dem 6. März 1989 verfasste und am 9. März 1989 abgesandte Schreiben an die Gewerbetreibenden der Stadt Bad Vilbel stellt eine unzulässige Wahlbeeinflussung dar und führt dazu, daß die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung vom 12. März 1989 für ungültig zu erklären ist. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 des Hessischen Kommunalwahlgesetzes - KWG - in der Fassung vom 1. März 1981 (GVBl. I S. 109), geändert durch Gesetz vom 16. Juni 1988 (GVBl. I S. 235), ist die Wiederholung der Wahl anzuordnen, wenn beim Wahlverfahren Unregelmäßigkeiten vorgekommen sind, die auf die Verteilung der Sitze von Einfluss gewesen sein können; erstrecken sich die Unregelmäßigkeiten nur auf einzelne Wahlbezirke, so ist die Wahl in diesen Wahlbezirken zu wiederholen; erstrecken sich die Unregelmäßigkeiten auf den ganzen Wahlkreis oder auf mehr als die Hälfte der Wahlbezirke, so ist die Wahl im ganzen Wahlkreis erneut vorzunehmen. Liegt keiner der in § 26 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KWG genannten Fälle vor, ist die Wahl nach Nr. 4 derselben Vorschrift für gültig zu erklären. Aus § 26 Abs. 1 Nr. 4 KWG folgt, dass die beanstandeten schriftlichen Mitteilungen nur dann zu einer Wiederholung der Wahl führen können, wenn sie als "Unregelmäßigkeiten beim Wahlverfahren" anzusehen sind.

Diese Voraussetzung ist erfüllt. Unter den Begriff des Wahlverfahrens im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG fällt nicht nur der im Kommunalwahlgesetz geregelte formal-technische Ablauf der Wahl. Erfasst durch diese Vorschrift werden auch die allgemeinen Wahlgrundsätze, deren Verletzung Unregelmäßigkeiten darstellen. Dies hat schon mit hinreichender Klarheit der 2. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in ständiger Rechtsprechung entschieden. Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen. Danach liegt eine Unregelmäßigkeit bei dem Wahlverfahren im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG vor, wenn gegen Bestimmungen des Kommunalwahlgesetzes oder der zur Ausführung dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen verstoßen wird (Hess. VGH, Urteile vom 5. März 1985 - II OE 42/82 - und 3. Februar 1987 - 2 UE 1330/86 -; Urteil vom 6. Dezember 1990 - 6 UE 1488/90 - ESVGH 41, 126 = NVwZ 1991, 702). Zu den Bestimmungen des Kommunalwahlgesetzes gehört auch die Regelung des § 1 Abs. 1 KWG, wonach die Gemeindevertreter unter anderem in gleicher Wahl gewählt werden. Die Pflicht, die Chancengleichheit der Wahlbewerber zu wahren, ist somit unmittelbar in einer Bestimmung des Kommunalwahlgesetzes geregelt, so dass ein Verstoß gegen diese Pflicht nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG zu einer Wiederholung der Wahl führen kann.

Auch eine verfassungskonforme Auslegung des Begriffs "Unregelmäßigkeiten beim Wahlverfahren" im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG gebietet es, diesem Begriff einen weiten, nicht nur den technischen Ablauf der Wahl umfassenden Sinngehalt beizumessen. Eine verfassungskonforme Auslegung des Begriffs "Unregelmäßigkeiten beim Wahlverfahren" im Sinne des § 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG ist möglich, denn der genannte Begriff ist auslegungsfähig. Es ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck des Kommunalwahlgesetzes, dass lediglich die Fehler im Rahmen des formal-technischen Ablaufs des Wahlverfahrens gemeint sind. Vielmehr lässt der Wortlaut der Vorschrift bei Berücksichtigung der im § 1 Abs. 1 KWG geregelten Grundsätze den Schluss zu, dass mit "Wahlverfahren" die Durchführung einer den wahlrechtlichen Grundsätzen entsprechenden Wahl gemeint war. Nur diese Auslegung wird der überragenden Bedeutung dieser Grundsätze gerecht. Es vermag nicht einzuleuchten, dass z. B. bei einem Verfahrensfehler, der dem Wahlvorstand im Zuge der Stimmabgabe von Wahlberechtigten unterläuft, die Wahl zu wiederholen ist, nicht aber etwa bei einer durch Drohungen beeinflussten Stimmabgabe.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 2. März 1977 (2 BvE 1/76 - BVerfGE 44, 125 ff., 138 ff.) entschieden, dass es gegen das sich aus Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 38 Abs. 1 GG ergebende Prinzip der freiheitlichen Demokratie verstoße, wenn im Wahlakt die Willensbildung nicht vom Volk zu den Staatsorganen hin vollzogen werde, sondern umgekehrt von den Staatsorganen zum Volk hin (Seite 140). Es sei den Staatsorganen von Verfassungs wegen versagt, "sich als Staatsorgane im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie unter Einsatz staatlicher Mittel zu unterstützen oder zu bekämpfen, insbesondere durch Werbung die Entscheidung des Wählers zu beeinflussen" (S. 141). Mit Art. 20 Abs. 2 GG sei eine auf Wahlbeeinflussung gerichtete, parteiergreifende Einwirkung von Staatsorganen als solchen zugunsten oder zu Lasten einzelner oder aller am Wahlkampf beteiligten politischen Parteien oder Bewerber unvereinbar. Sie verstoße gegen das Gebot der Neutralität des Staates im Wahlkampf und verletze die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen (Seite 144).

Wenn der Staat dabei zugunsten oder zu Lasten bestimmter politischer Parteien oder von Wahlbewerbern Partei ergreife, sei darüber hinaus auch das verfassungsmäßige Recht der davon nachteilig Betroffenen auf Chancengleichheit bei Wahlen verletzt (Art. 21 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 GG). Zu den Prinzipien, die das Grundgesetz unter dem Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zusammenfasse, gehörten neben der Volkssouveränität, der Gewaltenteilung und der Verantwortlichkeit der Regierung auch das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien (Seite 144/145 m. w. N.).

Das Recht auf Chancengleichheit gelte auch für die zur Wahlvorbereitung in der Massendemokratie erfolgende Wahlwerbung, soweit sie durch Maßnahmen der öffentlichen Gewalt beeinflusst werde (Seite 146). Ein parteiergreifendes Einwirken von Staatsorganen in die Wahlen zur Volksvertretung sei auch nicht zulässig in der Form von Öffentlichkeitsarbeit. Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften sei in Grenzen nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern auch notwendig. Sie finde aber dort ihre Grenze, wo die Wahlwerbung beginne. Anzeichen dafür, dass diese Grenze überschritten sei, könnten unter anderem der Inhalt sowie die äußere Form und Aufmachung von Anzeigen und Druckschriften sein (Seite 150). Als Anzeichen für eine Grenzüberschreitung zur unzulässigen Wahlwerbung komme weiterhin ein Anwachsen der Öffentlichkeitsarbeit in Wahlkampfnähe in Betracht, das sowohl in der größeren Zahl von Einzelmaßnahmen ohne akuten Anlass, wie in deren Ausmaß und dem gesteigerten Einsatz öffentlicher Mittel für derartige Maßnahmen zum Ausdruck kommen könne (Seite 151).

Die Grenze, die das Grundgesetz zwischen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit und unzulässiger Wahlwerbung ziehe, könne in der Vorwahlzeit auch dort überschritten sein, wo regierungsamtliche Veröffentlichungen sich auf eine sachliche Information des Bürgers beschränkten, sich also weder durch ihren Inhalt noch durch ihre Aufmachung als Werbemaßnahmen zugunsten eigener Machterhaltung oder für eine politische Partei zu erkennen gäben. Derartige Informationen stünden nicht frei im politischen Raum; sie könnten nur im Rahmen des Zusammenhangs sachgerecht gewürdigt werden. Unterrichte die Regierung im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit den Bürger über ihre Leistungen und Erfolge, so entfalte dies regelmäßig Wirkungen auch zugunsten der die Regierung tragenden Parteien. Das sei verfassungsrechtlich zwar unbedenklich, solange die betreffende Veröffentlichung nicht in unmittelbarer zeitlicher Beziehung zu einer bevorstehenden Wahl stehe, sich also voraussichtlich nur in begrenztem Umfang werbend auf das Wahlergebnis auswirken werde. Hingegen könne die Regierung ihre Pflicht, die Wahlentscheidung des Bürgers nicht zugunsten einer Partei oder im Interesse ihrer eigenen Machterhaltung zu beeinflussen, verletzen, wenn sie im nahen Vorfeld der Wahl ihrem Inhalt und ihrer Aufmachung nach nicht zu beanstandende Veröffentlichungen, insbesondere in Form von sogenannten Arbeits-, Leistungs- oder Erfolgsberichten mit beträchtlichem Aufwand und in erheblicher Menge veröffentliche oder gegen ihre Verbreitung keine ausreichenden Vorkehrungen treffe, die ihre Verwendung zu wahlwerbenden Zwecken verwehrten (Seiten 151/152).

Aus der Verpflichtung, sich jeder parteiergreifenden Einwirkung auf die Wahl zu enthalten, folge das Gebot äußerster Zurückhaltung und das Verbot jeglicher mit Haushaltsmitteln betriebenen Öffentlichkeitsarbeit in Form von sogenannten Arbeits-, Leistungs- oder Erfolgsberichten. Denn in der "heißen Phase des Wahlkampfes" gewönnen solche Veröffentlichungen in aller Regel den Charakter parteiischer Werbemittel in der Wahlauseinandersetzung, in die einzugreifen der Regierung verfassungskräftig versagt sei. Von diesen Beschränkungen der Öffentlichkeitsarbeit unberührt blieben dagegen auch im Vorfeld der Wahl informierende, wettbewerbsneutrale Veröffentlichungen, die aus akutem Anlass geboten seien (Seiten 152/153).

Das Bundesverfassungsgericht hat noch hinzugefügt, dass die Abgrenzung zwischen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit und verfassungswidriger, parteiergreifender Einwirkung auf die Wahl im Einzelfall schwierig sein könne. Deshalb setze die Feststellung eines Verfassungsverstoßes eine ins Gewicht fallende Häufung und Massivität offenkundiger Grenzüberschreitungen voraus (Seite 155/156).

Dieser Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben sich zahlreiche andere Gerichte, insbesondere auch der Hessische Staatsgerichtshof angeschlossen (vgl. Saarl. VerfGH, Urteil vom 26. März 1980 - Lv 1/80 - NJW 1980, 2181 ff.; Bad.-Württ. StGH, Urteil vom 27. Februar 1981 - GR 1/80 - ESVGH 31, 81 ff., 84 ff.; BremStGH, Entscheidung vom 30. November 1983 - St 1/83 - NVwZ 1985, 649 ff.; NRWVerfGH, Urteil vom 15. Februar 1985 - VerfGH 8/84 - NVwZ 1986, 463 f.; Hess. StGH, Urteil vom 11. Januar 1991 - P.St. 1114 - ESVGH 41, 1 ff., 3 ff.; BVerwG, Beschluss vom 17. November 1988 - 7 B 169/88 - NVwZ-RR 1989, 262 f.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 7. November 1983 - 1 S 1311/83 - DVBl. 1985, 170 ff.; OVG Münster, Urteil vom 19. August 1988 - 15 A 924/88 - NVwZ-RR 1989, 149 ff.; dasselbe, Urteil vom 22. Februar 1991 - 15 A 1518/90 - NVwZ-RR 1991, 420 ff. = NWVBl. 1991, 234 ff.).

Die vom Bundesverfassungsgericht angesprochene "Massivität und Häufigkeit" offenkundiger Grenzüberschreitungen kann nicht bedeuten, dass einzelne gravierende Verstöße gegen die obigen Grundsätze hinnehmbar wären. Vielmehr ist die Grenze zwischen den zulässigen und den unzulässigen Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit durchaus fließend. Je ausgeprägter der Inhalt eines staatlich finanzierten und verbreiteten Druckerzeugnisses den Charakter einer Wahlkampfaussage hat, desto mehr sind die Anforderungen an "Massivität und Häufigkeit" zu senken (BremStGH, a. a. O., S. 649 f.). Das Bundesverfassungsgericht hat selbst in seinem späteren Beschluss vom 23. Februar 1983 (- 2 BvR 1765/82 - BVerfGE 63, 230 ff., 242 ff., 244) verdeutlichend darauf hingewiesen, dass regierungsamtliche Veröffentlichungen, die sich weder durch ihren Inhalt noch durch ihre Aufmachung als Werbemaßnahmen zu erkennen gäben, unzulässig sein können, wenn sie im nahen Vorfeld der Wahl ohne akuten Anlass in so großer Zahl erscheinen und in solchem Umfang verbreitet werden, dass Auswirkungen auf das Wahlergebnis nicht mehr ausgeschlossen werden könnten. Daraus folgt, dass der Hinweis auf die "Massivität und Häufigkeit" letztlich die Frage betraf, ob der festgestellte Wahlrechtsverstoß das Wahlergebnis beeinflusst haben kann, nicht aber die Frage, ob überhaupt ein Wahlrechtsverstoß vorgelegen hat (vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 19. August 1988 - 15 A 924/88 - NVwZ-RR 1989, 149 ff., 151).

Die vom Bundesverfassungsgericht gezogenen Grenzen für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung in der Vorwahlzeit haben auch Geltung für die Gestaltung der Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinden vor einer Kommunalwahl (so auch OVG Münster, Urteil vom 19. August 1988, 15 A 924/88, S. 149 f.). Dies ergibt sich aus dem bereits angesprochenen § 1 Abs. 1 KWG, wonach unter anderem die Gemeindevertreter in freier, allgemeiner, geheimer, gleicher und unmittelbarer Wahl gewählt werden, in Verbindung mit Art. 1 der Hessischen Verfassung (vgl. auch Hess. StGH, a.a.O., S. 5, sowie bereits den Beschluss des Hessischen Staatsgerichtshofs vom 30. Oktober 1980 - P. St. 908 - StAnz 1981, 1655 ff., 1658 f.).

Das an die Gewerbetreibenden in Bad Vilbel übersandte Schreiben des Bürgermeisters und des Ersten Beigeordneten vom 6. März 1989 stellt eine unzulässige amtliche Wahlwerbung und damit eine Unregelmäßigkeit beim Wahlverfahren im oben genannten Sinn dar. Es handelt sich zwar um eine sachliche Information über Leistungen und Erfolge des bisherigen Magistrats. Diese Information ist jedoch unzulässig, weil sie im nahen Vorfeld der Wahl, also in der sogenannten "heißen Phase des Wahlkampfs" versandt wurde, ohne dass ein akuter Anlass dafür bestand. Für die Einladung zu der Veranstaltung war sie nicht notwendig. Wollte der Magistrat nicht auf sie verzichten, hätte die Veranstaltung um einige Tage verschoben werden können.

Die Unregelmäßigkeiten können von Einfluss auf die Verteilung der Sitze bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung in Bad Vilbel gewesen sein (§ 26 Abs. 1 Nr. 2 KWG). Ein Wahlanfechtungsgrund genügt nach der Rechtsprechung des Senats zur Aufhebung der Wahl, wenn unter den gegebenen Umständen nicht nur eine theoretische, sondern auch eine nicht ganz fern liegende Möglichkeit besteht, dass er sich auf die Sitzverteilung ausgewirkt hat (vgl. Hess VGH, Urteil vom 6. Dezember 1990 - 6 UE 1488/90 - ESVGH 41, 126 ff., 130/131 mit weiteren Nachweisen). Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Es besteht eine nicht ganz fern liegende Möglichkeit, dass die F.D.P. die erforderlichen zusätzlichen 16 Stimmen zur Überschreitung der 5-prozentigen Sperrklausel erhalten hätte, wenn die Versendung des Briefes vom 6. März 1989 an die Gewerbetreibenden in der Stadt Bad Vilbel unterblieben wäre. Die F.D.P. hätte nach § 22 Abs. 2 KWG fünf Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen, also bei 15.277 Stimmen mindestens 764 Stimmen erhalten müssen, um in der Stadtverordnetenversammlung vertreten zu sein. Auf sie sind jedoch nur 748 Stimmen entfallen. Die Einladungen mit den wahlbeeinflussenden Äußerungen sind "flächendeckend" in 459 Exemplaren an die Gewerbetreibenden des Wahlkreises Bad Vilbel, die Gewerbesteuer zahlen, versandt worden. Gewerbetreibende wählen erfahrungsgemäß eher die CDU oder die F.D.P., nicht so sehr aber die SPD oder die Grünen. Mit der Werbeaktion trafen der Bürgermeister und der Erste Stadtrat, die der CDU angehören, somit gerade solche Personen, die als Wähler der F.D.P. oder der CDU in Frage kamen. Daher liegt die Möglichkeit nicht fern, dass mindestens 16 der angeschriebenen Gewerbetreibenden durch den Erfolgsbericht dazu veranlasst wurden, statt der F. D. P. die CDU zu wählen.

Die Wahl ist daher für ungültig zu erklären und ihre Wiederholung im ganzen Wahlkreis Bad Vilbel anzuordnen (vgl. §§ 26 Abs. 1 Nr. 2b, 27, 30 KWG), da es angesichts der "flächendeckenden" Versendung der Erfolgsberichte jedenfalls in mehr als der Hälfte der Wahlbezirke zu den Unregelmäßigkeiten gekommen ist.

Es kann daher offen bleiben, ob die Anlage zum Schriftsatz vom 6. März 1989 sowie das an die Bediensteten der Stadtverwaltung versandte Schreiben vom 9. März 1989 ebenfalls unzulässige Wahlbeeinflussungen enthielten. Dagegen könnte sprechen, dass die Frage einer Eingemeindung von Bad Vilbel nach Frankfurt am Main kurz vor der Kommunalwahl durch Pressemeldungen betreffend den damaligen Bewerber der SPD für das Amt des Oberbürgermeisters der Stadt Frankfurt am Main in die Diskussion gebracht worden war, der Bürgermeister der Stadt Bad Vilbel somit aus akutem Anlass handelte.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, da sie unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht für erstattungsfähig zu erklären, denn es entspricht nicht der Billigkeit, diese Kosten der Beklagten oder der Staatskasse aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO in entsprechender Anwendung.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.